Der Fall Chiro­prak­tik: Knack und gesund?

Chiro­prak­tik ist seit ihrer Erfin­dung im späten 19. Jahrhun­dert umstrit­ten. Doch kann Chiro­prak­tik vielleicht sogar schaden?

Darum geht’s in diesem Beitrag

Chiro­prak­tik, das ist die Behand­lung mit dem Knack! Die alter­na­tiv­me­di­zi­ni­sche Thera­pie­form aus dem späten 19. Jahrhun­dert ist seit ihrer Erfin­dung umstrit­ten. Zeit, dass die Quarks Science Cops alias Maximi­li­an Doeckel und Jonathan Focke sich das mal in dieser Folge ihres Podcast ansehen.

Wenn man sich die Entste­hung der Chiro­prak­tik ansieht, versteht man auch sofort deren zweifel­haf­ten Ruf. Ihr Erfin­der Daniel David Palmer will Inspi­ra­tio­nen aus der Geister­welt erhal­ten haben. Dementspre­chend genoss die Chiro­prak­tik sehr viel Skepsis, nicht zuletzt wegen ihrer eindeu­ti­gen Ähnlich­kei­ten zur Osteo­pa­thie, welche die Science Cops bereits in Folge 27 des Podcasts als Großteils evidenz­frei verwarnt haben.

Palmer wollte die Chiro­prak­tik, die davon ausgeht, viele Leiden über Manipu­la­ti­on der Wirbel­säu­le lösen zu können, zeitwei­se sogar zu einer Religi­on ausbau­en. Aber wer die Science Cops kennt, weiß, dass sie das noch nicht überzeugt, dass Chiro­prak­tik nicht wirkt.

Skeptisch aber ergeb­nis­of­fen gehen sie also an die Studien ran – und sind direkt wieder hart gefrus­tet. Ein Großteil der Wirksam­keits­stu­di­en ist nicht zu gebrau­chen. Aber zu der Frage, ob die Chiro­prak­tik viele bekann­te Krank­hei­ten heilen kann, die gar nichts mit Fehlstel­lun­gen der Wirbel­säu­le zu tun haben, lassen sich wenigs­tens klare Aussa­gen treffen. Von Neben­wir­kun­gen bis hin zum Schlag­an­fall ist die Rede.

Was ist da dran und wie häufig ist so etwas? Landen die Verfech­ter der Chiro­prak­tik also im Science Cops-Knast? Oder schaf­fen die es am Ende doch, Jonathan und Max mal so richtig den Kopf zurechtzurücken?

Das sind die wichtigs­ten Fakten

Geschicht­li­che Informationen

  • Ursprüng­lich ging der “Erfin­der” der Chiro­prak­tik, Daniel David Palmer (1845 — 1913), davon aus, dass 95% aller Krank­hei­ten durch “sublu­xier­te” (verscho­be­ne) Wirbel ausge­löst werden
  • D. D. Palmer beabsich­tig­te dann zu Beginn des 20. Jahrhun­derts aus der Chiro­prak­tik eine Religi­on zu machen, deren er als geisti­ges Oberhaupt vorste­hen wollte
  • Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Bartlett Joshua Palmer (1882 — 1961) die Schule und entwi­ckel­te die Chiro­prak­tik zum dritt­größ­ten Heilbe­ruf der Welt
  • B. J. Palmer ergänz­te die Chiro­prak­tik auch mit dem Einsatz von Röntgenuntersuchungen

Beruf­li­che Anforderungen

  • Die Bezeich­nung «Chiro­prak­ti­ker» ist kein geschütz­ter Beruf
  • Ein Heilprak­ti­ker darf bereits nach einem viertä­gi­gen Seminar an der Halswir­bel­säu­le eines Patien­ten “herum­wer­keln”
  • Alleine in Deutsch­land gibt es über 10’000 Heilpraktiker

Physi­ka­li­sche Informationen

  • Durch Druck auf bestimm­te Stellen der Wirbel­säu­le, die verscho­be­ne Wirbel “justie­ren” sollen Beschwer­den elimi­niert werden können
  • Der Druck­vor­gang selbst findet mit hoher Geschwin­dig­keit, aber nur gerin­gem Druck statt, dabei entsteht das bekann­te Knack­ge­räusch (Kavita­ti­on)
  • Durch die Justie­rung werden blockier­te Nerven­bah­nen wieder freige­stellt und der Schmerz nimmt ab

Typische Anwen­dungs­ge­bie­te

  • Zu den typischen Behand­lungs­fel­dern gehören allge­mei­ne Verspan­nun­gen sowie Rücken, Kopf‑, Nacken- und Gelenkschmerzen
  • Weitere Anwen­dungs­fel­der sind z.B. Koliken bei Babys, Verdau­ungs­be­schwer­den, Schlaf­pro­ble­me oder gar die Reduzie­rung eines zu hohen Blutdrucks

Gefähr­lich­keit der Chiropraktik

  • Nach dem Besuch eines Chiro­prak­ti­kers steigt durch eine mögli­che Verlet­zung von Arteri­en statis­tisch das Risiko eines Schlag­an­falls bei Menschen unter 45 Jahren um den Faktor drei bis fünf.
  • Betrach­tet man ledig­lich die ersten 24 Stunden nach dem Besuch eines Chiro­prak­ti­kers so steigt die Chance, einen Schlag­an­fall zu erlei­den sogar um den Faktor zwölf (!)
  • Bei älteren Patien­ten ist das Risiko eines Schlag­an­falls nach dem Besuch eines Chiro­prak­ti­kers jedoch überhaupt nicht erhöht
  • Es ist möglich, dass dieser Wert so hoch ist, weil der Patient wegen den Vorbo­ten eines Schlag­an­falls (z.B. Kopfschmer­zen) den Chiro­prak­ti­ker aufsuchen
  • Das Risiko eines Schlag­an­falls inner­halb von 24 Stunden nach dem Besuch eines tradi­tio­nel­len Arztes wegen Kopfschmer­zen ist jedoch noch wesent­lich grösser

Aktuel­le Studienlage

  • 2009 wurde in einer Studi­en­ar­beit bestä­tigt, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Sublu­xa­ti­on bei Menschen immer wieder auftre­ten kann
  • Diesel­be Studie konnte auch keine Belege dafür finden, dass eine Sublu­xa­ti­on die Nerven zu den Organen behin­dert und dadurch die Gesund­heit beeinträchtigt
  • 2019 wurde in einer weite­ren Studie belegt, dass Chiro­prak­tik auch keinen verbeu­gen­den Einfluss auf allfäl­li­ge Krank­hei­ten hat
  • Auch in weite­ren Studien konnte keine Evidenz für die Wirksam­keit der Chiro­prak­tik auf Krank­hei­ten aller Art gefun­den werden
  • Weitere Studien konnten auch keine Diffe­renz zwischen einer echten und einer Schein­be­hand­lung feststellen
  • Einige Studien konnten zumin­dest eine kurzzei­ti­ge Verbes­se­rung (klinisch nicht relevant) von Rücken- oder Nacken­schmer­zen durch Chiro­prak­tik feststellen
  • Eine mögli­che Erklä­rung könnte dabei sein, dass durch Druck bestimm­te Schmerz­rei­ze zumin­dest kurzfris­tig beein­flusst werden können
  • Eine weitere Erklä­rung wäre der Place­bo­ef­fekt , weil die Patien­ten durch das aufge­tre­te­ne Knack­ge­räusch meinen, die Wirbel seien nun wieder einge­renkt. Das Geräusch entsteht jedoch ledig­lich durch freige­setz­te Gase (wie es z.B. auch beim Finger­knack­ge­räusch entsteht)

Fazit

Die Studi­en­la­ge zur Chiro­prak­tik ist vernich­tend, denn sie kam schon seit Beginn der 70er-Jahre zum Schluss, dass es sich bei der Chiro­prak­tik um ziemli­chen Schwach­sinn handelt. Bereits 1971 zeigte eine experi­men­tel­le Studie des Anato­mie-Profes­sors Edmund S. Crelin an der Yale-Univer­si­tät, dass sich durch Druck auf die Wirbel­säu­le keine Verän­de­run­gen am Verlauf der Nerven­bah­nen ergeben.

Auch in späte­ren Versu­chen konnte nie ein Beleg für die Existenz der “Sublu­xa­ti­on”, wie sie in Chiro­prak­ti­ker-Kreisen definiert wird, gefun­den werden. Echte Sublu­xa­ti­on kann jedoch z.B. bei einem Unfall entste­hen, wenn sich Wirbel durch einen Aufprall tatsäch­lich verschie­ben und infol­ge­des­sen operiert werden müssen. Dies hat jedoch keinen Zusam­men­hang mit der Sublu­xa­ti­on in Verbin­dung mit Krank­hei­ten, wie sie von Chiro­prak­ti­kern ins Feld geführt wird.

Eine minima­le Evidenz für die Funkti­ons­wei­se der Chiro­prak­tik gibt es somit ledig­lich bei Rücken- und Nacken­schmer­zen. Ob diese jedoch durch die Behand­lung oder durch Place­bo­ef­fek­te entsteht, kann nicht zweifels­frei nachge­wie­sen werden.