Der Fall Probiotika: Gesund leben mit Super-Bakterien?
Actimel, Yakult, MoreBiotic oder Omni Biotic — Produkte, die besonders viele angeblich total tolle Bakterien enthalten und deswegen gerne als Probiotika bezeichnet werden. Das Versprechen: die Bakterien verbessern die Darmflora, sorgen damit für ein gestärktes Immunsystem und verhindern Krankheiten. Klingt toll — wäre schön, wenn es stimmen würde.
Darum geht’s in diesem Beitrag
Es fängt schon damit an, dass die Produkte von den Herstellern selbst gar nicht als Probiotika bezeichnet werden dürfen. Denn es handelt sich in der EU um einen verbotenen Health Claim! Sind die Gesundheitsversprechen der Marken etwa gar nicht wissenschaftlich belegt? Die Science Cops gehen in die Studien und Meta-Analysen zu Probiotika und decken das Sciencewashing der Hersteller auf.
Taugen Probiotika etwas oder sind die Versprechen nur unwissenschaftlicher Unfug? Haben Probiotika wirklich einen Nutzen? Oder kann man am Ende auch einfach ganz normalen Joghurt essen? Den Stand der Wissenschaft klären Max und Jonathan in dieser Podcast-Folge. Denn Studieren geht bei wissenschaftlichen Behauptungen über Probieren!
Das sind die wichtigsten Fakten
- Im Darm leben ca. 40 Billionen Mikroorganismen (symbiotische Bakterien)
- Jeder Mensch hat mehrere Hunderte verschiedene, individuelle Bakterienstämme im Darm
- Der Darm ist bis zu 70 Prozent für die reibungslose Funktion unseres Immunsystems verantwortlich
- Antibiotika dezimiert die Bakterien im Darm und bringt die Verdauung aus dem Gleichgewicht
- Probiotika sind Produkte, die mit lebenden Mikroorganismen angereichert werden
- Joghurt gibt es bereits seit rund 1’500 Jahren
- Ein Großteil der Probiotika kommt gar nicht erst im Darm an, weil sie von der Magensäure zerstört werden
- Nicht-probiotische Joghurts haben dieselbe Wirkung wie probiotische Produkte
- Eine klare Evidenz auf eine Verbesserung der Gesundheit ist bei Joghurts nicht gegeben
- Es ist nicht belegt, welche Inhaltsstoffe sich beim Jogurt positiv auf die Gesundheit auswirken können
- Die Wechselwirkung zwischen der riesigen Anzahl der Darmbakterien ist unberechenbar
- Für einen möglichen positiven gesundheitlichen Effekt ist ein regelmäßiger Joghurtkonsum nötig
- Studien, die die Wirkung probiotischer Lebensmittel belegen sollen, sind praktisch wertlos, da sie an Tieren oder in der Petrischale durchgeführt wurden, jedoch nicht am Menschen
- Studien können auch keinen positiven Zusammenhang mit einer verstärkten Immunabwehr belegen
- Die Bezeichnung “probiotisch” auf Lebensmitteln wurde 2007 von der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) in der EU verboten (EU Health Claims Act)
- Gesundheitsbezogene Aussagen für die positive Wirkung von Probiotika in Lebensmitteln (z.B. Joghurts oder auch Nahrungsergänzungsmitteln) sind nicht zulässig und in der EU verboten
- Werden jedoch z.B. zusätzliche Vitamine oder Biotin in die Lebensmittel integriert, darf die Aussage «schützt dein Immunsystem» gemacht werden – obwohl dieser Schutz dann keinen Zusammenhang mit den Probiotikas, sondern mit den Vitaminen aufweist
- Probiotika könnte gemäß neusten Meta-Studien zumindest einen möglicherweise leicht positiven Einfluss auf die Verringerung von Infektionen oder eine Verkürzung der Krankheitsdauer haben
- Zumindest kann der Konsum von Probiotika nach der Einnahme von Antibiotika einen positiven Effekt auf die Verdauungsbeschwerden (Durchfall) haben
- Es gibt keine abschließende Aussage über die Wirksamkeit von Probiotika. Man befindet sich in diesem Zusammenhang noch immer in einer «Black Box»
- Umfangreiche Forschungen zu den einzelnen Bakterienstämmen könnten in Zukunft mehr Klarheit in diesem unübersichtlichen Territorium der Probiotika verschaffen
- Gesichert ist hingegen, dass mit einer ausgewogenen, ballaststoffreichen Ernährung (Präbiotika) die Darmflora günstig und optimal versorgt werden kann