Bespitzeln die SBB ihre Passagiere bald auf Schritt und Tritt?
Die SBB rüsten grössere Bahnhöfe mit neuen Kameras zur Gesichtserfassung aus: Die Bahn will so das Kaufverhalten auswerten, um die Einnahmen in den Läden zu steigern. Reisende erfahren nicht, dass sie beobachtet werden.
Totale Überwachung an Bahnhöfen
Gemäss eigenen Recherchen des K‑Tipp werten die SBB ab September 2023 nicht nur jeden Schritt der Reisenden aus, sondern auch, in welchen Läden diese wie viel Geld ausgeben. Die SBB wollen dafür neue Kameras mit Gesichtserfassung installieren. Diese werten mit speziellen Programmen die Bewegungen aller Bahnhofbesucher aus. Brisant: «Durch die Verknüpfung der Personenbewegungsdaten mit Daten aus anderen Quellen, wie Fahrgastdaten, kann Auskunft über das Verhalten von Bahnhofsbesuchen gegeben werden», heisst es im Projektbeschrieb.
Bereits heute filmen die SBB mit über 700 Kameras die Passantenströme in den Bahnhöfen – ohne aber das Kaufverhalten auszuwerten und mit Fahrgastinformationen wie zum Beispiel den Daten des «Swisspass» zu verknüpfen. Das Ziel der erweiterten Überwachung formulieren die SBB in ihren Papieren so: Die «Abschöpfungsrate» pro Reisenden soll erhöht werden. Denn je mehr Umsatz die Ladenbetreiber im Bahnhof machen, desto mehr Miete müssen sie den SBB zahlen.
Big Brother is Watching You
SBB-Kunden sind diesen Spionageaktivitäten hilflos ausgeliefert. Denn die neuen Kameras werden von blossem Auge nicht erkennbar sein. Die Kameras sollen versteckt installiert werden. Die Daten wollen die SBB in der Cloud von Microsoft speichern – also im Internetspeicher des US-Konzerns.
Gemäss den Ausschreibungsdokumenten verlangen die SBB von den Kamerabetreibern explizit eine «eindeutige Identifikation der Person (Person-ID), während des gesamten Aufenthalts im Bahnhof». Gemäss Datenschutzgesetz müssten Reisende der Verarbeitung ihrer Daten ausdrücklich zustimmen.
Hier werden Reisende bereits heute überwacht
Schon heute analysieren die SBB an zahlreichen grösseren Bahnhöfen die Bewegungsdaten der Reisenden – und das ohne Wissen ihrer Kunden:
- Aarau, Baden, Biel, Bellinzona, Chur, Freiburg, Neuenburg, Olten, Lugano, Lausanne, St. Gallen, Olten, Thun, Uster, Zug. Zürich: Altstetten, Enge, Hardbrücke.
Hier speichern Kameras, an welchen Läden Reisende vorbeilaufen:
- Basel SBB, Bern, Genf, Genf Flughafen, Luzern, Winterthur. Zürich: HB, Oerlikon, Stadelhofen.
Quelle mit vollständigem Beitrag (Paywall): K‑Tipp 2/2023 (12.02.2023)
Kommentar der Redaktion
Es ist schon erstaunlich, mit welch unglaublicher Selbstverständlichkeit die Überwachung der Menschen in der Schweiz immer weiter ausgebaut wird. Natürlich ist das alles nur zu unserem Vorteil oder zumindest zu unserer eigenen Sicherheit. Wohl genau deshalb regt sich in der Gesellschaft gegenüber einer immer stärkeren Überwachung kaum Widerstand. Die Frage ist einfach: wohin führt uns dieser technologische Kontrollwahn?
Bis vor wenigen Jahren glaubte man, es sei unmöglich, dass in westlichen Staaten ein Überwachungssystem wie in China aufgebaut würde. Inzwischen werden jedoch immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens überwacht. Bis zur nahtlosen Überwachung aller Bewegungsdaten eines Menschen fehlt nicht mehr allzu viel. Trotzdem wird die Mehrheit der Gesellschaft wohl kaum dagegen aufbegehren. Wenn es so weitergeht, könnte der Orwellsche Überwachungsstaat bis in 25 Jahren, also im Jahr 2048 – 100 Jahre nach der Veröffentlichung des distopischen Romans «1984» – tatsächlich wahr werden…